Ein Blick auf modernes Denken, den moralischen Relativismus und die Konsequenz für das Miteinander.
Markus Widenmeyer
27. Dezember 2017

Manchmal habe ich Gelegenheit, mit – sagen wir – typisch modernen Menschen, die ganz andere weltanschauliche Ansichten als wir Christen haben, Gespräche zu führen. Und zwar Gespräche, die über den üblichen Smalltalk hinausgehen. Da war zum Beispiel eine amerikanische Studentin, die einen moralischen Relativismus vertrat: Für sie ist Moral etwas gesellschaftlich Konstruiertes, ohne überzeitliche und überkulturelle Gültigkeit. Ich wandte ein, dass dann zum Beispiel die Verbrechen des Nationalsozialismus nur im Rahmen unserer aktuellen kulturellen Prägung moralisch schlecht wären. In anderen Kulturen könnten sie moralisch in Ordnung sein. Was für sie natürlich inakzeptabel war. Oder ein junger Veganer. Für ihn war der vegane Lebensstil zu einem wichtigen Teil seines Lebens geworden. Seine Motivation war moralisch, nämlich Leiden von Tieren möglichst zu verhindern. Ich habe ihm meinen Respekt zum Ausdruck gebracht. Aber auch er, säkular und atheistisch denkend, vertrat die Ansicht, dass es keine objektive Moral gibt. Er will etwas Gutes tun, obwohl Gut und Böse für ihn im Grunde Illusionen sind.

Man fragt sich: Warum solche Widersprüche im Denken zweier recht intelligenter Menschen? Tatsächlich aber repräsentieren sie das Denken sehr vieler Menschen heute: Sie haben feste Überzeugungen von Richtig und Falsch, für die sie manchmal auch kämpfen und gewisse Opfer bringen. Gleichzeitig vertreten sie eine Weltanschauung, nach der diese Überzeugungen eigentlich irrational und illusionär sein müssten. Warum ist das so? Offensichtlich haben Menschen von Natur aus das Gespür, dass es da ein überzeitliches und über-menschliches Richtig und Falsch gibt. (Von einem solchen inneren Gesetz spricht ja auch Paulus im 2. Kapitel des Römerbriefes.) Andererseits sind sie aber vom heute dominierenden naturalistischen Denken beeinflusst. Für den Naturalismus gibt es nur unser materielles Universum. Alles hat sich aus einfachen materiellen Zuständen heraus entwickelt. Gott als das absolut Gute und als oberster Gesetzgeber kommt hier nicht vor und es gibt entsprechend auch keinen objektiven Massstab für Richtig und Falsch. So schrieben die beiden Naturalisten Michael Ruse und Edward O. Wilson: «Menschen funktionieren besser, wenn sie von ihren Genen dahingehend betrogen werden zu glauben, dass es eine objektive Moral gibt.» Das ist eine krasse Aussage: Die Auffassung, dass z. B. Massenmord an unschuldigen Menschen wirklich objektiv moralisch falsch ist, wäre demzufolge schlicht unzutreffend und würde auf einer Illusion beruhen.

(Artikelauszug aus ethos 01/2018)