Viele Christen bemühen sich, christliches Leben zu produzieren – und schaffen es nicht. Christliches Leben oder Christusleben?
Roland Antholzer
15. Juli 2017

Meine Frau und ich haben zuhause eine schöne Seidenrose in einer Vase. Man könnte sie durchaus für echt halten. Doch sobald man eine frisch geschnittene Rose daneben sieht, merkt man, welch grosser Unterschied besteht: Der Unterschied zwischen Original und Plagiat, zwischen Leben und toter Materie. Genauso verhält es sich in Bezug auf den Glauben: «Christliches Leben» und «Christusleben» unterscheiden sich in wesentlichen Punkten.


Das Ego muss abdanken!

Christliches Leben kann einfach aus dem Für-wahr-Halten bestimmter Ideen und Grundsätze und der Ausübung gewisser Zeremonien bestehen. Wir wollen gute Christen sein und mühen uns ab, christliches Leben aus uns selbst zu produzieren. Das selbstbestimmte Leben kann eben auch einen frommen Anstrich haben! Das mag manchem gelingen, sodass er  in seiner Gemeinde Anerkennung findet, vielleicht sogar in die Leitung berufen wird. Das muss nicht zwangsläufig Heuchelei bedeuten, sondern kann der ehrliche Versuch sein, Christus nachzuahmen und seine Lehren und Gebote zu befolgen. Von unseren natürlichen Möglichkeiten her werden wir allerdings wegen der Schwachheit unseres Fleisches scheitern (Röm. 6,19).

Tatsächlich entspricht es auch nicht Gottes Willen, dass wir christliches Leben produzieren; es geht vielmehr darum, dass Christus durch uns leben kann. Dies ermöglicht uns, das zu sein und zu tun, wozu wir aus eigener Kraft nie fähig wären.

Damit dies möglich ist, muss unser Ego abdanken und den Thron dem überlassen, dem er rechtmässig zusteht. Denn Er hat uns teuer erkauft! Wir gehören nicht mehr uns selbst und haben auch nicht das geringste Recht, unserem Eigenleben zu frönen: «Er ist deshalb für alle gestorben, damit die, welche leben, nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist» (2. Kor. 5,15).

Die Lüge, die wir nur allzu gerne glauben, ist, dass wir ein sinnerfülltes Leben haben können, ohne unser altes Leben dabei verlieren zu müssen.


Sucht nach Bewunderung und Akzeptanz

In der humanistischen Psychologie und im Volksmund spricht man heute viel von Selbstbehauptung, Selbstbestätigung, Selbstbestimmung, Selbstannahme, Selbstliebe, Selbstachtung und Selbstverwirklichung. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Die Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von Narzissmus. Dieser Begriff stammt aus der griechischen Mythologie.

Ein schöner Jüngling namens «Narziss» soll sich eines Tages hoffnungslos in sein schönes Spiegelbild verliebt haben, als er es in einem Teich erblickte. Je länger er es betrachtete, desto heftiger verliebte er sich in sich selbst. Er war unfähig, sich davon zu lösen, und ertrank schliesslich beim Versuch, sich selbst, bzw. sein Spiegelbild, zu umarmen. Die Götter verwandelten ihn in eine Narzisse.

Narzissmus bedeutet also, dass Menschen selbstverliebt sind und auch ein übermässiges Bedürfnis haben, sich selbst darzustellen.

Kürzlich las ich, dass sich zunehmend junge Menschen Schönheitsoperationen unterziehen – wohlgemerkt: Leute im Alter von unter 25 Jahren! Um Bewunderung und Akzeptanz zu finden, lassen sie sich Fett absaugen, die Nase korrigieren, die Brust vergrössern usw. Sie wollen ihr falsches Selbstbild ihrem ebenso falschen Ideal angleichen, das die Medien ihnen suggeriert haben.

(Artikelauszug aus ethos 7/2017)