Im Interview mit ethos erzählen die Eltern (Tanja und Thomas Hammer) und die Geschwister von Samuel, wie sie als engste Angehörige mit dem Leben und Sterben von Samuel umgegangen sind.
Sabine Kähler
24. November 2016

An dem Tag, als Samuel, eurer drittes Kind, damals zweijährig, die Diagnose Leukämie bekam, hat sich euer Leben einschneidend verändert.
Tanja: Ja, Thomas und ich weinten viel zusammen. Viele Fragen kreisten in unseren Köpfen: Was würde auf Samuel, was auf uns zukommen? Würden wir ihn hergeben müssen? Wozu musste das jetzt sein? Auch beschäftigte uns die Frage: Möchte Gott uns damit etwas zeigen? Gibt es etwas in unserem Leben, das nicht recht ist? Warum aber straft Gott dann unser Kind und nicht uns?

Thomas: Zunächst waren wir niedergeschlagen und fassungslos. Wir erlebten dann aber nach und nach ganz persönlich die Realität von Philipper 4,6+7. Gottes Friede erfüllte unser Herz. Beim Lesen des Buches Hiob mit ganz anderen Augen wurde uns klar, dass Gott nicht nur Dinge tut, weil er es kann und uns damit quasi zu widerstandslosen Marionetten degradiert, sondern dass er, der Schöpfer und Erhalter des Universums, nur gute Pläne mit uns hat. Seine Gedanken, die höher sind als unsere Gedanken (Jes. 55,8+9; Jer. 29,11) gehen weiter als unser begrenztes Fassungsvermögen im Hier und Jetzt. Auch Samuels Leben war in seinen Händen am besten aufgehoben.

Tanja: Es war nicht das erste Mal, dass wir mit Schwerem umzugehen hatten. Als unsere älteste Tochter, Tabitha, acht Wochen alt war, erlitt ich einen Schlaganfall. Ich konnte nicht mehr sprechen, war halbseitig gelähmt und benötigte über ein Jahr Hilfe im Haushalt und bei der Versorgung des Babys. Es brauchte viel Geduld. Trotzdem sind wir dankbar, dass ich nach etwa zwei Jahren wieder selbständig war. Damals schon verstanden wir nicht, weshalb Gott das zugelassen hatte, aber wir fanden ein «Ja» durch das Vertrauen in seine Zusage aus Römer 8,28.

Was habt ihr während der langen Klinikaufenthalte, die Samuels Krankheit mit sich brachten, gelernt?
Tanja: Ich musste die Kontrolle abgeben! Das war das Schwerste, ein riesiger Lernprozess. Ich war Mutter von drei Kindern, das vierte, Lydia, wurde gerade in dieser Zeit geboren und war dann in der Klinik immer dabei. Ich musste Verantwortung aus der Hand geben und darauf vertrauen, dass es trotzdem läuft. Aber ich habe gelernt: Wenn Gott uns etwas aus der Hand nimmt, dann sorgt er sich darum. Meine Eltern waren für die zwei Grossen da, wir wussten sie in guten Händen, aber dennoch ...

Auch sonst konnten wir das Familienleben nicht planen. Samuels Krankheit machte, was sie wollte. Mal hiess es, «ihr könnt heim», um gleich danach wieder zu hören, «dableiben, sieht doch schlecht aus». Das Leben in der Klinik schien kein Ende zu nehmen. Wenn es rundläuft in unserem Leben, meinen wir leicht, alles unter Kontrolle zu haben. Die Not lehrt uns, dass dem nicht so ist. Was für ein Trost zu wissen und zu erleben, dass alles am Thron Gottes vorbei muss! Er weiss darum und hat die Kontrolle über unser Leben, wenn wir sie ihm nur überlassen. Dann steuert er unser Lebensschiff durch den Sturm.

13 Jahre bin ich nur von einem Termin zum anderen gehetzt, nicht nur für Samuel, auch für die anderen Kinder. Ich hatte gar keine Wahl, es lief wie automatisch. Denn ich weiss, dass viele Menschen für uns gebetet haben. Die Kraft reichte über Jahre, Tag für Tag, auch wenn ich eigentlich für mich nie Zeit hatte.

Für mich ist in dieser Zeit, wie oben erwähnt, Römer 8,28 lebendig geworden, auch der Vers aus 2. Korinther 12,9: «Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.» Diese Verse sind mit Inhalt gefüllt worden; ich habe erlebt, dass Gott greifbar ist. Der Herr Jesus nahm mich an der Hand und führte mich da durch – so eine enge Beziehung hat man leider oft nur in Notzeiten. Nur dann erwarten wir alles von ihm und erleben sein wunderbares Eingreifen. Das war für mich das Allergrösste. Uns wurde bewusst: Eigentlich geht es um nichts anderes auf dieser Erde als um diese enge Beziehung zu Jesus Christus, schon hier und jetzt – wir sind auf dem Weg in den Himmel. Das Wichtigste ist, dass wir errettet sind und wissen, wo unser Ziel ist. Wenn man das vor Augen hat, kann man alles andere ertragen.

Thomas: Oft wurde meine Frau bedauert, weil sie so viel in der Klinik sein musste, was ja auch berechtigt war. Aber auch ich als Vater litt unter der Situation. Ständig pendelte ich zwischen meiner Arbeitsstelle, dem Wohnort meiner Schwiegereltern, wo sich die beiden ältesten Kinder befanden, und der Klinik mit meiner Frau, Samuel und der jeweils jüngsten Tochter. Unzählige Kilometer habe ich auf der Strasse verbracht. Im Nachhinein ist es ein Wunder der Gnade Gottes, dass er mich bewahrt und täglich die nötige Kraft geschenkt hat. Ich kann nur danke sagen.

Die schwerste Zeit begann für mich jedoch an dem Tag, an welchem wir die Nachricht von Samuels Rückfall erhielten. Wir bekamen einen Anruf von den Freiburger Ärzten, als wir gerade auf der Rückfahrt von meiner Mutter waren, die am selben Morgen ihren Mann, meinen Vater, nach einem Herzinfarkt tot auf dem Wohnzimmerboden gefunden hatte.

Einige Wochen später, als ich meine Frau mal für eine paar Tage in der Klinik vertreten habe, brach ich an einem Abend in meinem Zimmer in der Elternunterkunft in Freiburg innerlich zusammen, lag auf dem Gesicht und heulte hemmungslos. Ja, ich haderte mit Gott und seinen Wegen. Samuel war doch wieder gesund gewesen. Warum jetzt dieser Rückfall? Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt.

Plötzlich erinnerte mich der Geist Gottes an Römer 8,31+32. Musste mir Gott etwas beweisen? Hatte er seine grenzenlose Liebe nicht bereits erwiesen, als er Jesus Christus für mich gegeben hatte? Hatte er nicht meine Vergangenheit und meine Zukunft geregelt, wie es besser nicht sein konnte? Das Reden Gottes an diesem Abend hat mir den Blick für das Wesentliche im Leben neu geöffnet und mir den inneren Frieden zurückgegeben, dauerhaft.

(Interviewauszug aus ethos 11/2016)