Ehe ist die Chance, Glückshormone in Realkapital umzusetzen. Wie kann das gelingen?
Nicola Vollkommer
26. März 2017

«Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang»,* war Friedrich Schillers viel zitierter Kommentar zum Thema Ehe, immer griffbereit für besorgte Eltern, die den Nachwuchs warnen wollen, nicht zu überstürzt vor den Altar zu treten.

Sich einem einzigen Menschen für ein Leben lang zu geloben, ist in der Tat ein starkes Stück. Eine Prise «Wahn» braucht es allemal, um auch den nüchternsten Menschen in die Lage zu versetzen, sich auf den vereinnahmenden Gefühlsrausch des Verliebtseins einzulassen. Und damit Verzicht und Opfer auf sich zu nehmen, um das eigene Schicksal mit dem eines anderen Menschen zu verbinden, ohne die geringste Ahnung, auf welche Achterbahnen das Leben dieses Glück treiben wird. Liebe macht in der Tat blind, und es ist auch gut so. Ein kräftiger Schuss verrückte Sehnsucht, beflügelt von der tickenden biologischen Uhr, dem Drang nach Fortpflanzung und der Angst vor einem Sologang durchs Leben: Das ist ein Mischung, die buchstäblich «hirnrissig» macht.


Belastbarer Bund

Ich kann mich genau erinnern, wie es sich anfühlt. Es war vor 35 Jahren auf einer Fahrt von Berlin nach Süddeutschland. Helmut setzte sich zu mir auf die Rückbank des Autos. Es war diese nervenaufreibende Phase, in der man noch nicht weiss, ob der andere an einem interessiert ist oder nicht. Ich fühlte seinen Arm neben meinem Arm. Zu DDR-Zeiten war die Fahrt auf der Transit-Autobahn lang. Als ich schliesslich aus dem Auto stieg, war ich nervlich am Ende und besorgt bis hin zur Panik, welchen Eindruck er von mir hatte. Ununterbrochene emotionale Qualen die ganze Strecke von Berlin nach Süddeutschland und tagelang danach: Das hat mich fast um den Verstand gebracht.

Eine Hochzeit, vier Kinder und 35 Jahre später spüre ich nicht mehr das gleiche Kribbeln im Bauch, wenn er neben mir im Auto sitzt. Es sind eher banale Basisfragen, die uns beschäftigen, zum Beispiel, wann es die erste Kaffeepause gibt, ob man Blumen für Oma kaufen sollte, ob er an die Sprudelflasche gedacht und für die Kinder eine Adresse hinterlassen hat. Vorher gibt es die übliche Diskussion darüber, wann wir losfahren sollen. Ich will früh unterwegs sein, er auf den letzten Drücker. Und dennoch, wenn ich ohne ihn unterwegs bin, fühle ich mich unvollständig, verwaist und orientierungslos. Bin heilfroh, wieder bei ihm zu sein. Und falls ich an einem fremden Ort übernachte, rufe ich kurz an, bevor ich ins Bett gehe, um wenigstens seine Stimme vor dem Schlafengehen im Ohr zu haben.

Und genau das ist der Sinn der Sache. Eine Ehe, wie sie von Gott gedacht wurde, ist ein unlösbarer Vertrag, der das Kommando übernimmt, sobald die Glückshormone erste Ermüdungserscheinungen zeigen. Ein Bund, der belastbar bleibt, auch wenn Kinder schreien, schmutziges Geschirr sich in der Küche aufstapelt, nervige Gewohnheiten irritieren, eine Jobkündigung auf dem Tisch liegt oder Krankheit plagt. Jenseits der unvermeidlichen Aufs und Abs unserer Emotionen legen wir uns fest. Komme, was wolle, wir zwei klammern uns aneinander. Wir schenken dem anderen das, wonach unser eigenes Herz in seinem Kern sich sehnt: nach dem Wissen, es wartet jemand, wenn ich nach Hause komme. Ich bin nicht alleine, wenn das Schicksal zuschlägt. Da ist jemand, der alles fallen lassen wird, um mir in der Not zur Seite zu stehen. In so einem Treueverhältnis wird auch die sexuelle Zweisamkeit zu einer tiefen Quelle der Wonne und des gegenseitigen Trostes.

In einer guten Ehe ist die Freiheit, sich im Leben getragen und versorgt zu wissen, wichtiger, als die Freiheit, zu tun und zu lassen, was man will. Das Problem unserer Zeit ist: Menschen wollen beides. Mann will die prickelnde Bettgemeinschaft mit seiner Frau, aber auch sein Recht behalten, abends ohne ihr Einverständnis mit seinen Kumpels auszugehen oder mit seinem Kegelverein Urlaub zu machen. Frau will die Traumhochzeit in vollen Zügen geniessen, die Freiheiten der flotten Junggesellin aber auf keinen Fall für die nörgelnde Tretmühle eines Ehealltags tauschen. Die Moral des heutigen Zeitgeistes lautet: mein Recht auf mein Glück. Logisch, dass der Ehepartner – und die Mitmenschen überhaupt – lediglich die Aufgabe haben, Zulieferer dieses Glücks zu sein.

(Artikelauszug aus ethos 3/2017)