«Nicht, dass ich keine Fehler hätte, aber Gott hat mein Leben unglaublich reich gemacht.» Julie Erickson im Interview mit ethos.
Interview: Silke Berg
7. November 2021

Julie, du hast früh deine Eltern durch einen Autounfall verloren. Wie würdest du deine Kindheit beschreiben und wie hat dieser tragische Verlust dein weiteres Leben geprägt?  

Ich bin Gott überaus dankbar für Wurzeln und Flügel, die ich durch meine Eltern bekam. Wurzeln, um zu wissen, wo ich hingehöre und Flügel, um Neues zu wagen. Sie schenkten mir auch einen «Kompass», Gottes Wort. In der Bibel fand ich nicht nur Antworten auf tiefere Lebensfragen, sondern auch ganz konkrete Hilfestellungen für jeden Tag. Mit meinen Eltern als Vorbilder, guten Freunden in der Schule und einer lebendigen Gemeinde hat Gott es sehr gut mit mir gemeint. Später an der Uni lernte ich «Campus für Christus» kennen, was mein weiteres Leben sehr prägte.

Eines Nachts klingelte bei mir die Polizei und brachte mir eine erschütternde Nachricht. Meine Eltern waren in einen schlimmen Unfall verwickelt. Zwei betrunkene Autofahrer rammten ihr Auto frontal, sie überlebten nicht. Mein 16-jähriger Bruder, der mit dabei war, überlebte schwer verletzt. Zunächst versetzte mich diese Nachricht in einen Schockzustand. Nachdem die Polizisten gegangen waren, kam eine Flut von Gedanken und Fragen in mir hoch. Gleichzeitig aber erfuhr ich einen übernatürlichen Frieden, den nur Jesus geben kann. Während dieser Zeit war Gottes Nähe und Hilfe besonders real. Ich fand viel Trost in seinem Wort, besonders in den Psalmen. Verse, die ich als Kind gelernt hatte, waren eine grosse Ermutigung. Auch das Nachdenken über die Eigenschaften Gottes hat mir geholfen, die richtige Blickrichtung zu bewahren und mir Kraft für jeden Tag gegeben. Ich verliess mich auf Gottes Souveränität und Vertrauenswürdigkeit, und das gab mir die Gewissheit, dass dieser Unfall einen Sinn haben musste, den ich irgendwann erfahren würde. Das bewahrte mich davor, Gott anzuklagen. Als ich weiter darüber nachdachte, war ich überwältigt von der Tatsache, dass Gott mir mein Leben neu geschenkt hat. Meine Eltern waren auf dem Weg zum Sommerhaus gewesen, um es winterfest zu machen. Ich sollte dabei sein, mein Koffer war gepackt. Doch im letzten Moment hatte ich den Eindruck, ich sollte zu Hause bleiben und mich auf meine Mitarbeit bei Campus vorbereiten. Gott hat auf diese Weise mein Leben bewahrt.

Ein Jahr zuvor wollte ich zu Campus für Christus als vollzeitliche Mitarbeiterin, aber meine Eltern waren nicht einverstanden. Als Geschäftsmann hatte mein Vater oft Missionare finanziell unterstützt, aber er wollte nicht, dass seine Tochter in solch einer abhängigen Stellung war. Ich hatte nicht die Freiheit, mich dagegen zu entscheiden, deswegen blieb ich zu Hause und arbeitete als Lehrerin. Nach einem Jahr sahen meine Eltern, dass mein Wunsch keine Eintagsfliege war, und sie fragten sogar: Was können wir tun, um dir zu helfen? Das war eine 180-Grad-Wende und bedeutete, ich konnte mich sofort bei Campus für Christus bewerben. Im September sollte ich starten, doch dann passierte der Unfall. Im Nachhinein bin ich so froh über dieses eine Jahr bei meinen Eltern, und dass ich erleben durfte, wie sie ein «Ja» zu meinem weiteren Lebensweg fanden.

Durch den Unfall änderte sich mein Leben komplett. Plötzlich war ich mit 23 Jahren eine Ersatzmutter für meine zwei jüngeren Brüder und die Bezugsperson für zwei Grossmütter über 80. Wir standen aber nicht allein da, Nachbarn und Freunde halfen uns in dieser schwierigen Lage. Tröstlich erfuhren wir auch die Hilfe unseres liebevollen Vaters im Himmel, der uns Tag für Tag zur Seite stand!

Was hat dich bewogen, die USA zu verlassen?

Ich hatte keine konkreten Pläne dafür. Mein Einsatz war zunächst in Chicago und sollte drei Jahre dauern. Gott führte mich und bestätigte mir, dass ich am richtigen Platz war. Es zeigte sich aber auch, dass er weitere Wege für mich vorbereitete. Aus den drei Jahren bei Campus wurden insgesamt fast fünfzig Jahre, und schliesslich wurde Chicago ein Sprungbrett nach Deutschland.

Schon immer hat mich die Arbeit von Missionaren fasziniert und bewegt. Als Kind war ich zutiefst überzeugt, dass der Mensch ohne Gott ewig verloren und Jesus die einzige Antwort ist. Gleichzeitig wuchs die Erkenntnis in mir, dass ich irgendwie persönlich involviert sein sollte, um diese Nachricht weiterzugeben.

Sowohl während meines Studiums am «Wheaton College» als auch in den drei Jahren als Mitarbeiterin an der Uni in Chicago hatte ich Kontakt mit Studenten aus der ganzen Welt. Das vertiefte mein grundsätzliches Interesse an anderen Kulturen. Im Laufe der Zeit gewann ich durch interessante Umstände meine Deutschkenntnisse. So oft wie möglich nahm ich an Projekten im Ausland teil. In diesem Rahmen war ich mit asiatischen Studenten in Hawaii, bei einem Projekt in England und später bei einem Stadteinsatz in Manila, einer Trainingskonferenz in Korea usw. Das Leben war auf keinen Fall langweilig!

Während einem Projekt in den USA bekam ich eine Einladung nach Deutschland. Mein Deutsch wurde am Telefon (in einer öffentlichen Telefonzelle!) von dem deutschen Campus-Leiter geprüft und für ausreichend befunden. Sechs Wochen später flog ich nach Europa, um mit meiner neuen Herausforderung anzufangen. Mein cross-cultural Training hiess «learning by doing»!

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 11/2021