– die «gute Scheidung» gibt es nicht.
Regula Lehmann
7. Februar 2020

Scheidung wird auch unter Christen immer «salonfähiger». Und weil wir wissen, dass sie nicht dem Willen Gottes entspricht, werden die selbstgestrickten Legitimationen dafür einfach so lange wiederholt, bis wir sie selber für wahr halten – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die ganze Gesellschaft.

Die Festung «christliche Ehe» steht unter Beschuss und die Geschosse kommen nicht nur von aus-sen, sondern zunehmend auch von innen. «Wenn ihr nicht glücklich seid, dann trennt euch lieber. Es bringt den Kindern nichts, wenn ihr zusammenbleibt, und Gott will bestimmt nicht, dass ihr leidet.» So oder ähnlich lauten die Ratschläge, die Paare in Krisen immer häufiger zu hören bekommen. Und wer als Christ Scheidung ablehnt, muss damit rechnen, als unbarmherzig oder gesetzlich verurteilt zu werden. Doch, hilft diese zunehmend zustimmende Positionierung den Betroffenen? Heilt es ihre Wunden, wenn Mitchristen ihre tiefen Zerbruchserfahrungen zur Normalität erklären oder gar biblisch zu legitimieren versuchen? Was geht in Frauen oder Männern vor, die erleben, dass Gemeindeleitungen zum Ehebruch ihres Ehepartners schweigen? Was fühlen Kinder, wenn sie Gemeinde als «rechtsfreien» Raum erleben, in dem sich niemand in Familienangelegenheiten einmischt und deshalb auch niemand für die Heilung ihrer Familie kämpft?

Während Paare früher aus wirtschaftlichen Gründen oder aus Angst vor Stigmatisierung zusammenblieben, schlägt das Pendel zunehmend in die Gegenrichtung aus. Persönliches Wohlbefinden hat hohe Priorität und neue Wege scheinen oft so viel attraktiver zu sein als das Arbeiten an einer Ehe, in der es nicht mehr «stimmt». Doch der Schein trügt.

Ich bin sehr dankbar, hat ein erfahrener Seelsorger uns während einer Ehekrise mit deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass Scheidung in der Regel der schwerere Weg ist. Viele Paare stellen im Nachhinein fest, dass der «Gewinn» die langfristigen Herausforderungen und Verletzungen, die durch ihre Scheidung entstanden sind, nicht aufwiegt. Auch in Zweitbeziehungen gibt es Krisen und das Zusammenleben in Patchwork-Familien entpuppt sich oft als äusserst anspruchsvoll. Ehe und Familie ist ein Projekt, das von Gott her mit gutem Grund auf ein ganzes Leben hin angelegt ist.

«Von Anfang an ist es nicht so gewesen», sagt Jesus in Matthäus 19,8, als die Pharisäer ihn mit der Scheidungsfrage in die Falle locken wollen, und stellt sich damit deutlich gegen die von manchen Gesetzeslehrern propagierte Liberalisierung der Eheordnung. «Verhärtete Herzen» nennt Jesus in der Auseinandersetzung mit den Gelehrten seiner Zeit als Grund dafür, dass getrennt wird, was Gott zu «einem Leib» zusammengefügt hat. Egal, wie wir es drehen und wenden: Es gibt keine Bibelstelle, die Scheidung als etwas Gutes oder Segenbringendes bezeichnet. Gott warnt sein Volk eindringlich davor, Bitteres süss und Süsses bitter zu nennen (Jesaja 5,20). Wer aufgrund der Tatsache, dass Menschen sich verirren, die Wegweiser verdreht oder entfernt, verunmöglicht allen die Orientierung.

Herzenshärte ist Auflehnung gegen Gott und Sünde wirkt nicht weniger toxisch, wenn wir sie als «wertvolle Lebenserfahrung» verkaufen. Ja, es gibt Umkehr, Gnade und Wiederherstellung – für Geschiedene wie für alle anderen. Auch für jene, die wie ich eine Scheidung «nur» in Gedanken vollzogen haben. «Es ist kein Unterschied», sagt Paulus in Römer 3, Vers 23, «alle sind abgefallen und haben nur auf ihren eigenen Weg geschaut.» (Herzenshärte zeigt sich unter anderem ja darin, dass wir nur noch uns selber sehen.) Die Bedingung für Gottes umfassende Gnade ist, dass wir unsere Sünde zum Kreuz bringen – und nicht unsere Rechtfertigungen. Der Sohn Gottes begnadigt gerne jeden, der seine Schuld nicht banalisiert, sondern bekennt. Und dank dieser teuer erkauften Gnade werden wir fähig und bereit, ehrlich hinzuschauen.

Baum oder Wald?

Wenn ich Scheidung in diesem Artikel kritisch beleuchte, geht es mir nicht darum, Geschiedene anzuklagen. Ich bin mir bewusst, dass es Menschen gibt, die alles dafür gegeben haben, eine Scheidung zu verhindern. Und ebenso bewusst ist mir: Es gibt Fälle, wo eine Trennung oder eine Scheidung die einzig verantwortbare Massnahme darstellt. Andauerndes Fremdgehen, eine schwere psychische Erkrankung, Gewalt, Sucht, Misshandlung oder Missbrauch können erfordern, dass Partner und Kinder in Sicherheit gebracht werden müssen. Aus diesen Fällen abzuleiten, Scheidung sei generell «nicht so schlimm», oder aus Rücksicht auf den Schmerz betroffener Menschen zum Thema zu schweigen, wäre jedoch verfehlt. Es geht im Reich Gottes nicht nur um uns als Einzelne, sondern immer auch um das grössere Ganze. Bildlich gesprochen heisst das, dass wir uns neben der sorgfältigen Pflege der einzelnen «Bäume» auch fragen müssen, was für das Ganze, für den «Wald», hilfreich ist. In der Seelsorge soll der einzelne «Baum» heil und auf Christus ausgerichtet werden. In der biblisch fundierten Verkündigung geht es darum, den «Wald» durch Gottes heilbringende Ordnungen gesund zu erhalten.

Scheidung hat Erosionspotenzial

Vor rund 20 Jahren erlebten wir im Bekanntenkreis mehrere Scheidungen mit und ich erinnere mich gut daran, wie stark diese uns verunsicherten. «Gibt es denn nichts, was hält?», klang es in meinem Herzen. Was ich empfand, fühlte sich an wie die Szene im Film Ice Age, in der dem Mammut und seinen Freunden das Eis unter den Füssen wegbricht. Ehe und Ehescheidung sind keine Privatsache. Scheidung ist wie ein Riss, der sich durch den Boden zieht, auf dem wir alle stehen. Wenn es keine «ewige Liebe» gibt, worauf sollen wir hoffen?

Im Neuen Testament bezieht Paulus den Ehebund auf den Bund, den Christus mit der Gemeinde geschlossen hat. Als Ehepaare sind wir Bundespartner und repräsentieren – in aller Schwachheit – den ewigen Bund, den der treue Gott seiner Braut auch dann nicht aufkündet, wenn er allen Grund dafür hätte. Als mir dies in einer sehr herausfordernden Phase unserer Ehe bewusst wurde, sagte ich zu Gott: «Herr, wenn du durch unsere Ehe deine Treue zeigst, dann will ich nicht die sein, die dieses Bild zerstört. Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass wir dich gut repräsentieren. Aber wenn dir das wichtig ist – an mir soll es nicht scheitern!»

Dieses Gebet veränderte etwas in mir. Ich begriff: Es geht nicht nur um meine Befindlichkeit und meine Bedürfnisse, sondern darum, dass Gottes grössere Pläne Realität werden. Dass Menschen – als Erstes unsere eigenen Kinder – erfahren: Es gibt eine Liebe, die – wie Albert Frey es in einem Lied ausdrückt – «alles trägt und nie vergeht». Im Vaterunser beten wir: «Dein Wille geschehe», und unsere Ehen sind von dieser Bitte nicht ausgeschlossen. Gott will der Welt durch unsere Treue seine Treue offenbaren. In seinem Buch «Der heilige Hafen» stellt Gary L. Thomas die provozierende Frage: «Was, wenn Gott die Ehe nicht so sehr dazu benutzt, uns glücklich zu machen, sondern vielmehr, um uns heilig zu machen?»

Glückliche Scheidungskinder?

2015 veröffentlichte der Schweizer Kinderarzt Remo Largo ein Buch mit dem Titel «Glückliche Scheidungskinder – was Kinder nach einer Trennung brauchen». «Glückliche Scheidungskinder?» Die Lehrstellenberaterin unseres Jüngsten wurde bei einer Schulveranstaltung gefragt, was Eltern tun könnten, damit ihre Jugendlichen eine Ausbildung erfolgreich bewältigen. «Vernünftige Grenzen setzen und zusammenbleiben», lautete die Empfehlung der Fachfrau, die oft mit Lehrabbrüchen konfrontiert ist. Laut ihrer Erfahrung kommen Jugendliche, die in einer Ausbildung scheitern, überdurchschnittlich oft aus zerbrochenen Familien. Scheidung erschüttert Kinderseelen. Auch wenn sie ohne Dauerstreit oder Krieg vollzogen wird. Wenn Eltern beispielsweise erklären, «sie würden sich schon noch lieben, aber es sei jetzt einfach Neues dran», bleiben Kinder unendlich ratlos und verwirrt zurück. Kinder erleben den Auszug eines Elternteils als Verlassenwerden und häufig übernehmen sie dafür sogar insgeheim die Schuld. Die kindliche Seele hat ihre eigene Logik und zieht kindliche Schlüsse aus dem, was Eltern entscheiden. Erwachsene mögen sich etwas auf «moderne» Beziehungsformen einbilden, doch für den Nachwuchs bedeuten diese viel Stress und innere Zerrissenheit.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 02/2020.