Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Gemeinde hören? An eine bestimmte Denomination? Gibt es die ideale Gemeinde überhaupt? Wie Gott sich Gemeinde vorstellt und welches Ziel er mit ihr hat.
Sabine Kähler
13. September 2016

In der Bibel steht für Gemeinde das Wort Ekklesia, das bedeutet wörtlich «die Herausgerufene». In manchen Übersetzungen wird Ekklesia auch mit Versammlung oder Kirche wiedergegeben. Die Geburtsstunde der Gemeinde Jesu ereignete sich an Pfingsten vor gut 2000 Jahren. Damals kamen viele Menschen zusammen, hörten die Predigt des Petrus, glaubten und empfingen den Heiligen Geist (Apostelgeschichte 2,37 ff.).

Die Gemeinde ist kein Verein, sondern ein lebendiger Organismus. Sobald ein Mensch sein Vertrauen auf Christus setzt und ihn als Heiland und Herrn annimmt, gehört er zu den Herausgerufenen. Er ist zu einem Kind Gottes geworden, zu einem Erben des ewigen Lebens. Die weltweite Gemeinde Jesu ist ein bunter Haufen von Menschen aus den verschiedensten Kulturen, Völkern und Stämmen. Im Himmel werden wir einmal staunen über all die Menschen, die gemeinsam und einmütig Gott loben!

Die Apostel hatten bei ihrer Missionstätigkeit aber nicht nur die weltweite Gemeinde im Blick, ihr Ziel war auch die Gemeindegründung vor Ort. Sie reisten umher und predigten das Evangelium in Dörfern und Städten. So entstanden überall Versammlungen von Menschen, die sich entschieden, Jesus Christus nachzufolgen. Als Zeugnis dafür liessen sie sich taufen. Diese Ortsgemeinden waren und sind Teil der weltweiten Kirche Jesu Christi.


Gemeinde in Bildern

Im Neuen Testament finden wir verschiedene Bilder, die das Wesen der Gemeinde beschreiben. Eines davon ist jenes von Braut und Bräutigam, welches zeigt, wie gross die Liebe Gottes zu den Seinen ist (Epheser 5,25 ff.).

Die Liebe zwischen Mann und Frau ist allerdings nur ein schwacher Abglanz der Liebe Gottes für seine Gemeinde, für die er ja sein Leben gab. Zudem wird die Gemeinde als Leib beschrieben, dessen Haupt Christus ist. Die Glieder dieses Leibes sind Brüder und Schwestern in Christus. Gottes Wort beschreibt die Gemeinde auch als Tempel, bestehend aus lebendigen Steinen, wobei Christus der Eckstein ist.


Erkennungsmerkmal: Liebe

«Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt» (Johannes 13,34 und 35).

Das Erkennungsmerkmal der Gemeinde Jesu ist gelebte, wahrhaftige Liebe gegenüber Gott und dem Nächsten. Diese Liebe soll im Umgang miteinander praktisch sichtbar werden. Manch einer braucht Ermutigung in seinem Glaubensleben oder Seelsorge; Alleinstehende erfahren Gemeinschaft; Freundschaften entstehen und Beziehungen wachsen. Diese Liebe wird von den Aussenstehenden wahrgenommen. Sie ist ein starkes Zeugnis für die verändernde Kraft des Evangeliums.

Mein Mann und ich haben diese Liebe ganz praktisch erlebt, als wir unser Haus bauten. Immer wieder kamen Helfer und brachten sich mit ihren praktischen Gaben ein – beim Tapezieren, Fliesenlegen oder beim Streichen der Fassade. Wie dankbar waren wir darüber! Ich denke auch an eine Familie, deren Kind todkrank war. Die Frauen der Gemeinde kamen, um die Wohnung zu putzen, und brachten fertig gekochte Mahlzeiten vorbei. Ich erinnere mich an die alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die vom Krebs gezeichnet war. Sie bat eine Familie der Gemeinde, ihre zwei Kinder aufzunehmen. Nach ihrem Heimgang fanden Sohn und Tochter eine neue Heimat, Geborgenheit in einer neuen Familie. Oder da ist Martha, seit einiger Zeit an Demenz erkrankt. Sie wird von ihrer Familie versorgt. Einzelne Glieder der Gemeinde besuchen sie, singen und beten mit ihr und versuchen so, die Familie ein wenig zu entlasten und Freude in Marthas Alltag zu bringen.

Wie wertvoll ist es, in einer Welt des Unglaubens und des grassierenden Egoismus Menschen um sich zu haben, die Opfer der Liebe bringen, die sich selbst vergessen, um andern zu dienen. Wie viele wertvolle Begegnungen, Gespräche und wie viel Ermutigung durfte auch ich selbst in der Gemeinde erfahren!

Hier, in der Gemeinde Jesu, darf sich jeder angenommen und geliebt wissen. Er darf der sein, der er ist. In der Erfahrung dieser Liebe wird er fähig, seine Masken des Selbstschutzes abzulegen. Das ist das grossartige Angebot: Ich darf kommen, wie ich bin, aber ich muss nicht bleiben, der ich bin!


Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Diese Liebe ist der Auftrag, das Ziel – aber leider nicht immer Realität. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass einige Verletzungen und Enttäuschungen meines Lebens ebenfalls in Zusammenhang mit der Gemeinde stehen. Das liegt sicher mit daran, dass meine Erwartungen an andere oft zu hoch sind. Ich erwarte in jedem Fall, dass sich die andern richtig verhalten – schliesslich sind sie Christen, oder? Aber auch Christen sind manchmal wie stachlige Igel: Je näher sie sich kommen, desto eher verletzen sie sich gegenseitig. So werde ich auf unangenehme Art von anderen gepiekt, und schlimmer noch, ich selbst verletze die, die ich eigentlich lieben sollte.

Wir dürfen nicht vergessen: Die Gemeinde besteht aus Sündern, die zwar begnadigt sind, die aber noch immer mit ihrer alten, sündhaften Natur im Kampf liegen. Da bleiben die Schwierigkeiten nicht aus. Die Sünde macht vor der Gemeindetüre nicht Halt, und wir finden leider auch hier die ganze Palette: Ehebruch und Pornografie, Machtmissbrauch und Unehrlichkeit, Schwatzhaftigkeit und unlautere Motive, Streitereien und Unversöhnlichkeit, Haarspaltereien und fehlende Kompromissbereitschaft. Und das soll die Braut Christi sein? Ich staune über Gottes Geduld. Meine eigene wäre schon längst erschöpft, wenn ich mit all dem konfrontiert würde, was Gott in der Gemeinde mitansehen muss. Traurige Wahrheit ist, dass die Gemeinde Jesu Gott manchmal eher Schande als Ehre bereitet.

(Artikelauszug aus ethos 09/2016)