Warum sollte ich, der «grosse Retter», selbst Rettung brauchen?
Interview: Daniela Wagner
21. November 2022

In seiner polizeilichen Laufbahn war Ewald Dorner in verschiedenen Sonderverwendungen tätig, unter anderem als Drogen- bzw. Suchtgiftfahnder, als Mitglied der Anti-Terror-Einheit «Cobra», als Hubschrauberpilot im Exekutiv- und Rettungseinsatz und schliesslich als Inspektionskommandant in Kärnten.

Deine Vita liest sich beeindruckend. Haufenweise Abenteuer, viel Action – ein Glückspilz, mit dem es das Leben gut meinte?

Ewald Dorner: Alles in allem wurde ich wohl schon von vielen um meine «Karriere» beneidet. Als Hubschrauberpilot hat man Kontakt mit der höchsten Führungsebene und erlebt bei den Alpineinsätzen genug Stoff für eine eigene TV-Serie. Genau genommen war ich der Star meiner eigenen Serie. Ich erhielt fliegerische Belobigungen wie die «Goldene Medaille am roten Bande», die höchste in Österreich zu vergebende Auszeichnung für eine Lebensrettung. Als Polizist und Lebensretter lotete ich immer wieder die Grenzen des Machbaren aus – das gefiel mir. Doch trotz Bewunderung und Traumjob war da eine innere Leere.

War die schon länger dein «Begleiter»?

Bereits mit 18 Jahren schrieb ich philosophische Sprüche in ein Büchlein. Das passte eigentlich so gar nicht zu mir. Ich galt als der kleine Bruder von James Bond.
(lacht)

Ein harter Typ mit Irokesen-Haarschnitt, damals der Skandal schlechthin. Auch besass ich unerlaubterweise eine geladene Faustfeuerwaffe und fuhr mit dem Motorrad wie ein Irrer durch die Gegend – gleichzeitig schrieb ich so tiefsinniges Zeug. Offensichtlich suchte ich nach dem Sinn des Lebens. Ich merkte, dass alles, was mir einen Kick verschaffte, zwar lässig war, aber letztendlich doch nur oberflächlich. Es füllte mich nicht aus.

Zweimal bat ich unseren Stadtpfarrer um ein Gespräch. Von wo kam mein Grübeln nach dem Woher und Wohin? Ich versuchte, nach dem Gottesdienst mit ihm über meine Fragen zu reden. Doch beide Male wies er mich ab, er habe im Moment keine Zeit. Da dachte ich: «Du kannst mir doch gestohlen bleiben», schwang mich auf mein Motorrad und fuhr wie ein Wahnsinniger die Bahnhofstrasse runter. Ich riskierte alles, es half mir ja doch keiner.

Jahre später trug ich diese offenen Fragen immer noch mit mir herum. Hinzu kam durch meine Arbeit die kontinuierliche Konfrontation mit dem Tod, auch mit meiner eigenen Vergänglichkeit. Im Gelände barg ich wiederholt Tote. Wenn ich dann die Verzweiflung der jungen Mütter beim Erkennen des Unfassbaren sah, oder Familienväter, die nach einem Verkehrsunfall plötzlich ohne Frau allein mit ihren Kindern dastanden, dann kam unausweichlich die Frage nach dem Sinn des Lebens: Ist das wirklich alles? Man riskiert alles, setzt sein Leben aufs Spiel – aber was ist, wenn es einmal schiefgeht und man nicht mehr auf der Seite der Retter steht, sondern selbst betroffen ist? Solche Fragen liessen sich nach über tausend Einsätzen mit vielen Gefahren und zahlreichen Toten nicht mehr verdrängen.

Für mich war klar, dass es Gott gibt. Was aber seine Existenz mit mir zu tun hatte, erfasste ich nicht. Ich kannte keine persönliche Beziehung zu ihm. Auch verstand ich nicht, ob das gerecht sein sollte, was hier auf Erden abläuft.

Einmal die Woche flog ich meine Einsätze mit einem Notarzt, der an den Gott der Bibel glaubte. Er war der Einzige, dem ich meine Gedanken anvertraute und mit dem ich über Gott und die Welt diskutierte.

Im Grunde bin ich von meinem Naturell her ein extrovertierter und fröhlicher Mensch. Aber auch nachdenklich und verletzlich. Nach aussen spielte ich die Rolle des Clowns, was mir einerseits gefiel, andererseits machte es mich einsam.

Kommen wir zu dem Tag, der dein Leben buchstäblich auf den Kopf stellte ...

Es war der 20. Oktober 1989, als mich mein Schöpfer ohne Vorwarnung mit zielstrebiger Bestimmtheit vom Himmel holte.

Ein Erhebungsflug im Bereich des Felbertauern Kammes wegen Wilderei. Der herbstliche Tag war wunderschön, der Himmel tiefblau. Ausgezeichnetes Wetter, genügend Leistungsreserve in dieser Höhe – alles in allem ein Routineflug. Bei einem Schwebemanöver auf ca. 2650 Metern Seehöhe, mit einer Kufe abgestützt auf einem Felsvorsprung, traf ein Steinschlag die Rotorblätter. In der Folge fiel die Hydraulik aus, die Maschine kippte bergwärts und es folgte eine massive Rotorblattberührung mit ansteigendem Felsgestein. Ich konnte den Hubschrauber von den beiden Kollegen, welche bereits ausgestiegen waren, wegreissen und stürzte kopfüber eine senkrechte Eisflanke hinab. Mit grosser Anstrengung gelang es mir, die Fluglagen jeweils bis zu 90 Grad in allen Ebenen variierend ca. 600 Meter zurückzulegen. Dadurch baute ich etwa 200 Höhenmeter ab, bevor die angeschlagene Maschine auf einem tennisplatzgrossen, nahezu ebenen Fleck in diesem ansonsten ca. 45 Grad steilen Gelände mit einem Totalschaden zu Boden krachte.

Endlage seitlich rechts; kopfüber hing ich in den Gurten.

Lesen Sie das ganze Interview in ethos 12/2022