Im ICE-Zugabteil von Hamburg nach Rostock setzt sich mir ein junger Mann gegenüber. Weil ich meine dicke Arbeitsbibel auf dem Schoss habe, schaut er öfter neugierig auf mein Buch, spricht mich aber nicht an.
Andreas Fett
8. Mai 2018

Da öffnet sich die Schiebetür und eine Ordensschwester in schwarzer Tracht gesellt sich als Dritte zu uns. Sie, vielleicht 70 Jahre alt, holt ebenfalls ein Buch hervor (Mit Gott auf Du und Du) und beginnt zu lesen.

Ganz unvermittelt frage ich die Nonne: «Entschuldigen Sie, wenn ich beim Lesen störe, aber was müsste geschehen, dass wieder mehr junge Menschen Interesse an Gott finden – oder gibt es in Ihrer Ordensgemeinschaft keine Nachwuchsprobleme?»

Sie legt ihr Buch beiseite und antwortet: «Es geht den meisten zu gut. Das macht oberflächlich. Der Wohlstand treibt unsere Gesellschaft weg von Gott. Man meint, ohne Ihn auskommen zu können.» Ich stimme ihr zu und ergänze: «Und unsere dauerpräsenten Medien lenken uns von den wichtigsten Fragen ab. Wer denkt heute noch über ewige Dinge nach.»

Neben dem Zugfenster auf dem Bahnsteig laufen über ein Werbe-Display die aktuellsten Nachrichten. «Ja, da sieht man es ja wieder: Attentate in Spanien», sagt der junge Mann. «Wir werden rund um die Uhr abgelenkt. Selbst auf den Sterbezimmern hängen Fernseher über den Krankenhausbetten!»

«Und was studieren Sie da?», fragt mich die Nonne und deutet auf meine Bibel hin. «Ich lese gerade Psalm 90.» – «O, das ist aber schön! Diesen Psalm beten wir in unserem Kloster jeden Abend!» Da schaltet sich wieder der Mann ein. Er ist Geschichtsstudent im letzten Semester, Altgriechischkenner und bei mehreren Ausgrabungen im Nahen Osten beteiligt. Er heisst Konstantin und kommt aus Rostock.

«Als 9-Jähriger habe ich unsere alte Familienbibel in wenigen Monaten durchgelesen – aus reiner Wissbegier. Meine Eltern waren zwar nicht christlich, aber ich wollte herausfinden, was es mit dem Glauben auf sich hat.»

Schwester Birgit, so heisst die Nonne, meint: «Das ist sicher kein geeigneter Zugang für ein Kind, die Bibel durchzulesen, um Gott zu finden. Bestenfalls das Evangelium oder die Apostelgeschichte sind für Laien verständlich. Aber dafür gibt es die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, um gemeinsam zu beten und im Gottesdienst durch den Priester die Gegenwart von Christus zu erleben.»

Unterdessen hat eine vierte Person das Abteil betreten. Eine Frau um die sechzig. Sie nimmt in der Ecke Platz und hält bewusst Distanz. Unsere Gespräche scheinen sie nicht zu interessieren. Daher fragt die Nonne: «Fühlen Sie sich durch unsere Unterhaltung gestört?» – «Nein, reden Sie nur weiter. Ich bin aber Atheistin. Mir sagt das alles nichts. Ich denke nicht, dass nach dem Tod noch irgendetwas kommt. Uns fressen die Würmer und damit ist Ende.»

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 05/2018.