Eine wartende Gemeinde wird von der Zukunftshoffnung, der Wiederkunft Jesu Christi, lebendig gehalten.
Yvonne Schwengeler
12. August 2016

Wir waren jung und verliebt, als ich für ein Jahr ins Welschland ging, um meine Französisch-Kenntnisse aufzubessern. Damals gab es weder Handys, E-Mails noch Skype, um uns mal schnell hören oder sehen zu können. Das Telefonieren war teuer und unsere Taschen leer. Die Sehnsucht aber war gross, und so schrieben wir uns fast täglich lange Briefe, an deren Ende immer das aramäische Wort «Maranatha» stand. In frühchristlicher Zeit drückte es die Erwartung der baldigen Wiederkehr Jesu Christi nach seiner Himmelfahrt aus und heisst übersetzt: «Unser Herr kommt!» (1. Kor. 16,22).

Mit diesem Ruf haben die ersten
Christen einander in jedem Gottesdienst zum Festhalten aufgefordert, mit ihm sind sie in die Krankenzimmer und an die Sterbebetten gekommen, mit ihm haben sie die Verzweifelten aufgerichtet, mit ihm haben sie sich in Verfolgungen und Folterungen Mut gemacht, mit ihm haben sie die Geister der Schwermut vertrieben. Maranatha!

Es gab Zeiten, in denen die Gemeinde diesen Ruf vergass. Die Welt verlor ihre Gefährlichkeit, als Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion erklärte. Bis dahin war die Gemeinde Jesu eine verfolgte, und vermutlich gerade deshalb eine wartende Gemeinde. Eben darum blieb ihre Zukunftshoffnung lebendig.

Als Kirche und Staat sich verbandelten, änderte sich dies. Jetzt war es karrierefördernd, Christ zu sein. Ein Amt zu bekommen ohne (wenn auch nur ein äusseres) Bekenntnis zum Christentum, war kaum möglich.

In den folgenden Jahrhunderten, als das Christentum salonfähig geworden war, schwand auch die Erwartung auf den kommenden Herrn. Die Wiederkunft Jesu war kein Thema.

Bis hinein in die Reformation blieb das so. Selbst da gab es nur ein zaghaftes Wiederaufflackern dieser Hoffnung. Erst die Täufer, die ehemalige Gefolgschaft Zwinglis, brachten das Thema wieder auf in der Verkündigung.

Man macht uns Christen oft den Vorwurf, weltabgewandt zu sein. Da wird etwas völlig falsch verstanden. Wir sind zwar nicht von dieser Welt, wohl aber in diese Welt gesandt, um Jesu Zeugen zu sein. Der bekannte irische Christ, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler C. S. Lewis schrieb:

«Aus der Geschichte wissen wir, dass gerade die Christen, die am stärksten auf das Jenseits schauten, sich auch am eingehendsten mit dem Diesseits befassten. Die Apostel, die mit der Bekehrung des römischen Imperiums begannen, die vielen bedeutenden Männer des Mittelalters, die englischen Protestanten, denen es gelang, den Sklavenhandel abzuschaffen, – sie alle drückten dieser Welt ihren Stempel auf, gerade weil ihr Sinnen und Trachten auf die Wiederkunft Christi gerichtet war. Erst seitdem für das Handeln des Christen nicht mehr der Gedanke daran bestimmend ist, sind die Christen im Diesseits so ohne Wirkung.» Jesus hat immer sehr deutlich davon gesprochen, dass er wiederkommen wird. Wann genau das sein wird, wissen wir nicht. Doch wir wissen, dass seiner Wiederkunft gewisse Zeichen vorausgehen werden.

(Artikelauszug aus ethos 8/2016)