Ein Vater über den Schmerz, sein Kind nie in die Arme schliessen zu können – und von der Gewissheit, es bei Jesus zu wissen
Thomas Kleine
16. März 2025

Ein ganz normaler Büroalltag: nette Kollegen, Telefonate mit Kunden, Akten, Kaffee ... Dann, im Laufe des Vormittags, ein Anruf meiner lieben Frau. Schluchzend, kaum verständlich, aber so intensiv, dass mich die Angst packte. «Alles gut?» Warum fragt man so etwas, wenn einen die Antwort doch unausgesprochen anschreit? «Was hat die Ultraschalluntersuchung ergeben?» Langsam dämmert es mir: Unser Kind wird das Morgenrot seines Geburtstages niemals erleben, sein Herz hat aufgehört zu schlagen. Mein Chef reagiert umsichtig: «Fahren Sie nach Hause, ich kümmere mich um den Rest.» Ich packe meine Sachen zusammen, haste durch den Gang. Eine Kollegin macht verwundert Platz. Ihre Fragen verebben bei den Tränenfluten: Ich will nur noch hier raus und nach Hause. Warten auf den Zug. Endlich ankommen. Einander in den Arm nehmen: halten und dabei selbst gehalten werden.

Ein verstohlener Blick auf den Bauch. Wie oft habe ich am Bauch meiner lieben Frau Lieder gesungen, Gebete gesprochen und dem kleinen Gotteswunder meine Pläne mitgeteilt. Nie in den Händen gehalten, aber stets auf dem Herzen getragen. Geliebt, gestaunt, gefreut – aber immer auch gebangt.

Auf dem Rückweg von der Arztpraxis war Mimi einer lieben Freundin begegnet. Sie hat sie ohne viele Worte verstanden und ihre Mutter angerufen. Diese arbeitet als Gynäkologin im Krankenhaus und kommt sofort zu uns. Die Ansagen der Ärztin bei uns zu Hause sind trostvoll, bestimmt und knapp: «Nehmt euch Zeit zum Trauern. Morgen kommst du zu mir in die Klinik, Mimi.» Ich rufe Familienangehörige an, um sie zu informieren. Ich gehe auf den Balkon, die Sonne scheint. Meine grosse Schwester meldet sich. Meine Stimme geht weg: «Unser Baby ist schon am Ziel angekommen ...» Passend zu den Sonnenstrahlen gelingt es ihr, den Glanz der Ewigkeit in unsere Zeit zu holen.

Weitere Anrufe müssen getätigt werden. Ein Freund versucht, mich aufzumuntern: «Das ist doch nur ein Zellklumpen.» Fassungslosigkeit, nicht nur hinsichtlich der Untauglichkeit des Trostes, sondern auch der Unkenntnis: «Meine Urform sahen deine Augen. Und in dein Buch waren sie alle eingeschrieben, die Tage, die gebildet wurden, als noch keiner von ihnen da war» (Ps. 139,16). Zwei Ehepaare kommen uns besuchen. Wir sitzen zusammen. Nicht viele Worte, aber viel Trost.

Am nächsten Tag ist Jugendstunde. Ich beschliesse, mit den Jugendlichen an den Rhein zu fahren. Ein Impuls aus der Bibel, Gebet und Gesang, die Unbeschwertheit junger Geschwister, der Blick geht wie automatisch nach oben. Dort haben die Wolken ein Herz gebildet und werden von der Abendsonne in die prächtigsten Farben getaucht: Der Vater, «von dem jede Vaterschaft in den Himmeln und auf Erden benannt wird» (Eph. 3,15), schenkt einem trauernden Papa ein Stück Ewigkeit in die Zeit: Für einen Augenblick ist es, als ob sich der Schleier lichtet und dem Schwarz-Weiss des verpixelten Ultraschallfotos unseres Kindes Farben geschenkt werden.

In der Bibel wird mir Psalm 139 kostbar. Handschriftlich habe ich mir hier ein Gedicht von Ludwig Uhland (1787–1862) an den Rand geschrieben:
«Du kamst, du gingst mit leiser Spur,
ein flüchtiger Gast im Erdenland;
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
Aus Gottes Hand in Gottes Hand.»

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