Georg Fischer, Mitarbeiter im Leitungsteam der «Gefährdetenhilfe Scheideweg», über Ursachen der Glücksspielsucht und Ausstiegshilfen.
Georg Fischer
24. Januar 2016

«Das Spiel ist das Einzige, was Männer wirklich ernst nehmen.» (Peter Bamm)

Aus Spiel kann Ernst werden. Im schlimmsten Fall sogar Sucht. Manche Menschen – mehrheitlich Männer – machen diese Erfahrung. Dabei ist der Begriff «Spielen» etwas irreführend. Es geht bei dieser Problematik ausschliesslich um das Glücksspiel, das gekennzeichnet ist von Geldeinsatz und einer Zufallsentscheidung über Gewinn und Verlust. Gemäss einer Studie der «Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung» (2011) sind 1,4 % der bundesdeutschen Bevölkerung als «problematische Spieler/-innen» und 1,0 % als «pathologische (= krankhafte) Spieler/-innen» zu klassifizieren.1 Die Angebote der bundesweiten 1320 ambulanten Suchtberatungsstellen wurden 2012 von 19 500 Glücksspieler/-innen in Anspruch genommen – das ist ein Anstieg zum Vorjahr um 16,2 %.2 Das zeigt, dass eine zunehmende Zahl betroffener Personen Hilfe sucht und sich traut, über ihr Problem zu sprechen.

Auch in der Betreuung von Inhaftierten im Rahmen der Gefängnis-Kontaktgruppen sowie in der Begleitung gefährdeter junger Menschen in unseren Wohngemeinschaften haben wir es immer wieder mit spielsüchtigen Menschen zu tun. Die Glücksspielsucht spielt teilweise eine sekundäre Rolle und wird von anderen Problemen überlagert (z. B. Drogensucht, Kriminalität). Manchmal ist sie aber offensichtlich das primäre Problem und Auslöser weiterer Schwierigkeiten (Überschuldung, Kriminalität, etc.).


Phasen einer Spielerkarriere

Vergleichbar mit der Entwicklung stoffgebundener Süchte lässt sich eine «Spielerkarriere» in folgende Phasen aufteilen:3

  • Gewinnphase: Das Anfangsstadium ist zunächst geprägt von guten Erfahrungen. Das Glücksspiel wird als entspannend empfunden, steigert das Selbstwertgefühl und Verluste können ausgeglichen werden. Optimismus und Gewinn-Fantasien steigern die Risikobereitschaft.
  • Verlustphase: Im kritischen Gewöhnungsstadium steigert sich die Intensität, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Das Spielverhalten gewinnt an Eigendynamik, es werden zunehmend Verluste gemacht und Geld dient nur noch als «Spielkapital». Damit beginnen die Probleme im sozialen Umfeld (Partnerschaft, Familie, Arbeit), gekennzeichnet durch Unzuverlässigkeit und abnehmende Kontaktfähigkeit. Um Abwesenheiten und finanzielle Engpässe zu erklären, wird ein System von Lügen aufgebaut.
  • Verzweiflungsphase: Im Suchtstadium besteht das Leben nur noch aus Spielen und Geldbeschaffung – wenn nötig durch Straftaten. Der Kontrollverlust ist eingetreten. Es beginnt ein sozialer Abstieg, begleitet von Schuldgefühlen, Abstinenzversuchen, erneuten Rückfällen und einer zunehmenden Persönlichkeitsveränderung.


Warum wird jemand spielsüchtig?

Wie erklärt sich süchtiges Spielverhalten? Suchtexperten versuchen, diese Frage in einem «Drei-Faktoren-Modell» als Rahmenkonzept zu beantworten.4

  1. Faktor: die Wirkung des Glücksspiels selbst, nämlich ein Prozess mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Psyche. Das führt sowohl zu Euphorie-, Macht- und Erfolgsgefühlen als auch zu Niedergeschlagenheit und Verzweiflung.
  2. Faktor: die Person des Spielers. Es gibt zwar keine typische Spielerpersönlichkeit, aber individuelle Faktoren wie Alter, Geschlecht, genetische Grundlage und Persönlichkeitsstruktur können eine Rolle spielen.
  3. Faktor: das soziale Umfeld. Dabei geht es um den Einfluss der gesellschaftlichen Toleranz (wie hoch ist die Hemmschwelle?), der Verfügbarkeit (wie gross und erreichbar ist das Glücksspiel-Angebot?), der Arbeits- und Lebensverhältnisse (Spielen als spannende Abwechslung etc.) und der familiären Strukturen (etwa erste Glücksspielerfahrungen in der Familie).

1) Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2014). Jahrbuch Sucht 2014. Lengerich: PABST SCIENCE PUBLISHERS
2) ebd.
3) Bachmann, M./Meyer, G. (2011). Spielsucht – Ursache, Therapie und Prävention von glücksspielbezogenem Suchtverhalten. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.
4) ebd.

(Artikelauszug aus ethos 01/2016)