Ein Versprechen und seine Folgen.
Nicola Vollkommer
1. Februar 2019

Gesehen habe ich ihn nie. Auch nicht gehört. Aber sein Einfluss war in der Universitätsstadt Cambridge schon zu meiner Zeit allgegenwärtig. Dort hatte ich das Vorrecht, drei Jahre meines Lebens unter den Spitzen-IQs der Welt zu verbringen. Und hier wurde am 31. März 2018 der Held der Moderne, Ikone des progressiven Denkens, Astrophysiker Stephen Hawking, mit grossen Ehren von feiernden Menschenmengen auf seiner letzten Reise begleitet. Sein Sarg wurde in einer Limousine durch die alten, gewundenen Strassen von Cambridge gefahren. Strassen, die von geschichtsträchtigen Hallen gesäumt sind, die ältesten dieser «Colleges» ganze tausend Jahre alt.

Ein Mann der Superlative

Namen wie «Emmanuel College», «Jesus College», «Trinity College», «Corpus Christi» und «Trinity Hall» erinnern an die einstigen christlichen Gründer der Elite-Universität, die höhere Bildung als sakrale Pflicht sahen, vom Wort Gottes hergeleitet und inspiriert. Der Missionar Karl Studd und seine sechs Freunde, Dichter John Milton, der christliche Philosoph C. S. Lewis, sind nur einige der bekannten Cambridge-Christen, deren Leidenschaft für das Evangelium im Leib Christi weltweit unübersehbare Spuren hinterlassen hat.

Es gibt aber auch andere berühmte Cambridge-Absolventen. Der Dichter Samuel Coleridge, der seine legendären Texte unter dem Einfluss von Drogen schrieb. Lord Byron, der sexuelle Perversionen in aller Öffentlichkeit zur Schau stellte. Naturwissenschaftler Charles Darwin, der den Gedanken einer Schöpfung ohne Schöpfer als Erster salonfähig machte.

Und nun auch Stephen Hawking. Der Mann wurde zweifellos mit gutem Recht bewundert. Für seinen tapferen Kampf gegen eine ALS-Krankheit, die ihn schon als jungen Mann lahmzulegen drohte. Für eine Denkkraft, die Verbindungen zwischen der Allgemeinen Relativitätstheorie, Einsteins Gravitationstheorie und der Quantenmechanik entdeckte und Physik als Studienfach für Laien zugänglich machte. Im September 2010 verkündete er allerdings zuversichtlich in einem Zeitungsartikel, dass «es in der modernen Physik keinen Platz für Gott in der Schöpfung des Universums gibt».1 Genauso wie Charles Darwin die Notwendigkeit eines Schöpfers in der biologischen Sphäre eliminiert hat, behauptete Hawking, die Rolle des Schöpfers sei auch in der Physik überflüssig.

Ausgerechnet in die grösste und älteste Kirche der historischen Cambridge-Innenstadt wurde der Sarg des bekennenden Atheisten hineingetragen. Unter Weihrauchduft und zum Klang von gesungenen Gebeten fanden seine Überreste schliesslich in Westminster Abbey in London neben Georg Friedrich Händel und Isaac Newton ihre letzte Ruhestätte.

Hawkings Stimme wurde nach seinem Tod als Teil eines Datenpakets, das Wissenschaftler der Europäischen Weltraumorganisation zu seinen Ehren zusammenstellte, unter grossem Jubel ins All geschickt. 3457 Lichtjahre soll die Sprachaufnahme, eine «Botschaft des Friedens und der Hoffnung», mittels Radiowellen zum erdnächsten schwarzen Loch unterwegs sein2. So das letzte Vermächtnis von diesem Mann der Superlative.

Eine tickende Zeitbombe

Keinem der Verfasser diverser Lobreden schien die traurige Ironie von Hawkings Leben aufzufallen. Die Stimme eines Genies, das schier übermenschliche Denkkraft besitzt, endet in jenem schwarzen Loch, mit dem dieses Genie zeitlebens beweisen wollte, dass Gott nicht existiert. Hinweise, dass die Welt durch Hawkings Wirken besser geworden ist, gibt es keine. Immer noch saugen sich die Fliegen an den ausgemergelten Körpern von verhungernden Kindern satt. Immer noch säumen Kriegstrümmer Strassen im Nahen Osten, die einst belebte Einkaufszentren waren. Immer noch türmen sich abgetriebene Überreste von Säuglingen in den Mülltonnen von Kliniken. Schwarze Löcher hin oder her, Seite an Seite mit den Fortschritten einer in Luxus schwelgenden Gesellschaft schreiten auch die Begleiterscheinungen eines Untergangs voran: Ausbeutung, Terror, Tod, wo man nur hinschaut.

Moderne technische Fortschritte mögen noch so beeindruckend sein, zwei Fakten ändern sich nicht: die Vergänglichkeit des menschlichen Körpers und die Niedertracht des menschlichen Herzens. Auf diese zwei Fakten pocht das Wort Gottes mit irritierender Beharrlichkeit. Die Botschaft ist zeitlos – heute relevanter denn je. Der schöpferische Geist des Menschen, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, aber von diesem Ebenbild abgekoppelt, ist eine tickende Zeitbombe. Der Feind wusste ganz genau, was er sagte, als er Adam und Eva mit den Worten verlockte: «Ihr werdet sein wie Gott!» (1. Mose 3,5). Er versäumte es, ihnen das Kleingedruckte vorzulesen. Sie würden in der Tat sein wie Gott. Aber menschliche Intelligenz, die ohne einen moralischen Kompass im Einsatz ist, endet über kurz oder lang im Chaos. Die Kreativität, die ein Paradies zu schaffen vermag, verwandelt jedes Paradies irgendwann in eine Hölle.

Lesen Sie den ganzen Artikel in ethos 02/2019.