
Boris, du bist in Russland geboren, in einer kleinen Industriestadt am Ural. Deine Eltern waren Akademiker. Nimm uns mit in eure Geschichte.
Meine Vorfahren waren Deutsche, die sich einst in den Kolonien im Kaukasus bzw. der Ukraine niederliessen. In Russland gab es viele Russlanddeutsche, die zurück nach Deutschland wollten – nicht zuletzt, weil ihnen immer wieder das Gefühl gegeben wurde, nicht dazuzugehören. Als die Sowjetunion kollabierte, liess man sie ziehen. So kamen wir im Sommer 1992 nach Deutschland, ich war damals neun Jahre alt.
Man hatte mir viel Gutes über dieses Land erzählt, trotzdem fiel es mir schwer, meine Heimat zu verlassen. Der Wohlstand hier schockierte mich regelrecht – so etwas hatte ich in dem sozialistischen Russland nicht annähernd gesehen. Dort war man froh, wenn es überhaupt etwas zu kaufen gab, besonders in der Zeit der galoppierenden Inflation Anfang der 90er-Jahre.
Wie war das Ankommen in Deutschland?
Ich wurde eingeschult und kam in die zweite Klasse. Die ersten Jahre in der Schule waren nicht einfach. Ich weiss nicht, ob es an meinem kulturellen Hintergrund lag. In Russland galt eher das Recht des Stärkeren – Konflikte wurden mit der Faust geregelt, nicht mit Worten.
Ich hatte das Gefühl, nicht wirklich angenommen zu werden. Freunde zu finden fiel mir schwer, obwohl die Verständigung nicht das Problem war – nach drei Monaten konnte ich dem Unterricht mühelos folgen. Es lag möglicherweise auch an meiner Art.
Wie das?
Ich verstand den Stoff schnell und neigte zu Stolz. Niemand hatte mir gesagt, dass das nicht richtig ist, vom christlichen Glauben wusste ich damals nichts.
Ich hatte Gelingen in der Schule, im Sport, in vielen Bereichen – das erzeugte Neid und Spott. So wurde mir schon früh bewusst, dass Menschen von Natur aus nicht unbedingt gut sind – mich eingeschlossen. Als ich später durch das Wort Gottes mit der Realität der Sünde konfrontiert wurde, konnte ich das gut nachvollziehen. Ich wusste: Es stimmt.
Du hast nicht einfach gedacht, die anderen seien schuld?
In der Schülerzeitung wurde über mich hergezogen, ich wurde als arrogant bezeichnet. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich erkannte: Irgendetwas muss ja dran sein. So nahm ich mir bewusst vor, mich zu ändern. Ich entschied mich, zurückhaltender aufzutreten, weniger über meine Leistungen zu sprechen und in Diskussionen nicht mehr so altklug zu reden. Erstaunlicherweise funktionierte das.
Ein Jahr später stand in der Abi-Zeitung, ich sei sympathischer geworden.
Wann begannen deine Sinnfragen?
In der Oberstufe entdeckte ich meine Leidenschaft für Chemie. Ich wusste: Das will ich studieren. Eines Tages hörte ich im Unterricht die Aussage: «Wenn es die Evolution nicht gegeben hätte, würden wir immer noch als Amöben auf dem Boden rumkriechen.»
Das schockierte mich. Ich hatte die Evolutionstheorie zuvor nicht infrage gestellt, aber die Vorstellung, von Mikroorganismen abzustammen, erschien mir plötzlich absurd. Ich begann, mir darüber Gedanken zu machen.
Hast du aktiv nach Antworten gesucht?
Eigentlich war mein Fokus zunächst, meiner Laufbahn nachzugehen, mich selbst zu verwirklichen. Ich begann mein Chemiestudium und war erfolgreich – bekam Auszeichnungen und ein hochkarätiges Stipendium. Ab und an diskutierte ich auch mit meinem Vater über die Evolutionstheorie – er hatte sich inzwischen zu dem Gott der Bibel bekehrt und war Christ geworden.
Mein Spezialgebiet wurde die organische Chemie. Beim Experimentieren fiel mir etwas auf: Kleine Moleküle sind stabil, grosse hingegen fragil und neigen dazu, zu zerfallen. Aber die Evolutionstheorie besagt, dass aus kleinen Molekülen grössere und komplexere geworden sein sollen, bevor die ersten Zellen entstanden sind. Das widersprach meinen Beobachtungen und liess mich an der Evolutionstheorie zweifeln.
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