Ein gebrochenes Elternherz ist wohl keine moderne Erfindung. Pubertät – die Phase, in der Erziehung von vorne anfängt.
Nicola Vollkommer
1. November 2018

«Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Brut unter die Flügel, und ihr habt nicht gewollt!» Lukas 13,34

Es war wieder einer jener Erziehungstage. Aufmüpfigkeit in vierfacher Ausführung. Unmengen von ungemachten Hausaufgaben, giftigen Seitenhieben mit entsprechenden Retourkutschen von mir, unerfüllten Pflichten und mindestens zweimal ein «Du bist unmöglich, Mama» und einmal ein «Wenn wir so lästig sind, warum hast du Kinder gekriegt?». Volltreffer. Ich sagte es nicht laut, dachte aber rebellisch: «Hmmm, warum eigentlich?»

Am Boden zerstört, zog ich mich zurück, um weiteren Schäden vorzubeugen. Wenige Tage später las ich die Geschichte von Noah in der Bibel. Ein kleiner Vers stach mir dabei zum ersten Mal ins Auge: «Es reute den Herrn, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte» (1. Mose 6,6). Die Bibel ist erfrischend ehrlich: Gott höchstpersönlich, nicht mit Imagepflege beschäftigt, sondern mitten in einer Depression. Ein gebrochenes Elternherz ist wohl keine moderne Erfindung.

Vielleicht ging es ihm so wie uns. Was ich auch machte, es hatte negative Konsequenzen. Noch negativere Konsequenzen hatte es allerdings, wenn ich gar nichts machte. Ich schwankte zwischen Schmuse-Mama, die alles durchlässt, weil sie ihr Kind ach so lieb hat, und grausamem Kontrollfreak, der nach der So-weit-und-nicht-weiter-Taktik verfährt. Mitunter gab es mich in beiden Varianten, manchmal innerhalb einer Stunde. Und mitten in dieser Achterbahn des emotionalen Wirrwarrs erinnerten die vielen Erziehungsratgeber wieder mal daran, dass ein konsequenter Erziehungsstil das A und O ist.

Die Pubertät ist die Phase, in der Erziehung von vorne anfängt. Gerade dachte man, das Gröbste sei vorbei, da muss man sich damit abfinden, dass das Allergröbste erst noch kommt. Früher lehrte man die Kinder, wie man Tortenstücke miteinander teilt. Jetzt müssen sie lernen, wie man den DVD-Spieler teilt. Und dass man nach dem Autoschlüssel fragen muss, genau wie früher nach dem Tesafilm.

«Trainiere ein Kind in dem Weg, den es gehen soll: und wenn es erwachsen ist, wird es nicht von ihm abweichen» (Sprüche 22,6). Dem Sinn nach, so behaupten die Experten, lautet die Anweisung: «Trainiere und bleib dabei, zu trainieren.» Diese Entdeckung macht mir immer wieder Mut. Es ist doch normal, dass Kinder für die moralischen Imperative des Lebens ein abnormal schlechtes Gedächtnis haben. Und wenn mein Sohn schon wieder auf meinen Hinweis, den Tisch abzuräumen, so eingeschnappt reagiert, als ob er von so einer Zumutung noch nie in seinem Leben irgendwas gehört hätte, dann gebe ich nicht auf. Ich bleibe dran.

Selbst Gott pendelt zwischen überströmender Liebe für seine Kinder und unbändigem Frust hin und her. Einmal: «Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt, darum habe ich dir meine Güte bewahrt» (Jeremia 31,3). Ein anderes Mal: «Ich werde dich in die Hand derer geben, die nach deinem Leben trachten» (Jeremia 22,25). Beeindruckende Stimmungsschwankungen. Auch der Erzieher aller Erzieher «schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, denkt darüber nach, was schiefgelaufen ist, prüft, ob er wirklich alle Maschen schon probiert hat», um aufsässige Kinder in die rechte Bahn zu bringen und muss zuschauen, wie seine Mühen ins Leere laufen. Jesus war ihm verblüffend ähnlich – wen wundert es? Einmal heiliger Zorn, als er im Tempel mit dem Stock um sich schlägt, ein anderes Mal ein Tränenausbruch und die Klage: «O Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen wie eine Henne ihre Brut unter die Flügel ...» (Lukas 13,34).

Auch Gott musste sich mit der Du-bist-aber-gemein-Leier auseinandersetzen: «Wir wollen zurück nach Ägypten!» (vgl. 2. Mose 16,3). Auch seine Kinder fielen mit den Die-anderen-dürfen-es-auch-Argumenten über ihn her: «Ein König soll über uns sein – damit auch wir sind wie alle Nationen!» (1. Samuel 8,20).

Er hilft ihnen aus der Patsche und wird dafür beschimpft. Er gibt seinen Kindern das, was sie wollen, und erhält nicht mal ein Dankeschön. Er segnet und muss zuschauen, wie sein Segen vergeudet und mit Füssen getreten wird. Trotzdem liebt er ohne Gegenleistung. Seine Liebe hat immer das letzte Wort. Auch ich habe ihn enttäuscht, ihn immer wieder verachtet, ignoriert, ihm für seinen Segen nicht gedankt. Aber er hielt die Treue, auch mir. Und immer noch streckt er seine Flügel mit der Einladung aus, dort Schutz zu finden.

In gewissem Sinne steckt der pubertierende Teenager in uns allen drin. Wir haben nur den Vorsprung gegenüber unseren Kindern, dass wir gelernt haben, ihn besser zu überspielen ...