Das Armenhaus der Arabischen Halbinsel ist gebeutelt von Krieg und Terror. Internationale Hilfsorganisationen haben kaum Zugang, obwohl über 80 Prozent der Bevölkerung dringend Hilfe brauchen.
HMK Schweiz
24. Oktober 2016

Der Jemen (halb sunnitisch, halb schiitisch) wird seit Ende März 2015 durch das sunnitische Saudi-Arabien bombardiert und in einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten hineingezogen. Schon vor dem Konflikt lebten rund 50 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, doch seit Juli 2015 befindet sich nach Einschätzung der UNO das ganze Land in einer humanitären Katastrophe. Die höchstmögliche Notfallstufe (Level 3) wurde ausgerufen. Ende 2015 benötigten 82 Prozent der Bevölkerung dringend Hilfe von aussen – mehr als 21,2 Millionen.

Bereits im August 2015 bezeichnete IKRK-Präsident Peter Maurer nach einem Jemen-Kurzbesuch die Lage wie folgt: «Im Jemen sieht es nach fünf Monaten Bürgerkrieg schlimmer aus als in Syrien nach fünf Jahren.» Über 2,5 Millionen Jemeniten verloren alleine in den letzten Monaten ihr Zuhause. Die humanitäre Grundversorgung ist zusammengebrochen, internationale Hilfskräfte erhalten kaum Zugang, einzigartiges Geschichts- und Weltkulturerbe wird unwiederbringlich zerstört.


Jemenitische Untergrundkirche wächst

In den durch Saudi-Arabien «befreiten» jemenitischen Gebieten wird alles zur Zielscheibe, was nicht streng islamisch-sunnitisch ist. In der Hafenstadt Aden werden Kirchen zerstört und verwüstet, einheimische Christen, andere nicht-sunnitische Glaubensgemeinschaften oder auch Nichtreligiöse werden gejagt und umgebracht. Obwohl Christen wegen ihres Glaubens getötet werden, wächst die grösste und bedeutendste arabische Untergrundkirche der Arabischen Halbinsel weiter an. Die jemenitische Untergrundkirche versorgt regelmässig Notleidende – ein leuchtendes Zeugnis der Liebe Gottes.


Stellvertreterkrieg Saudi-Arabien – Iran

Die jemenitische Zivilbevölkerung leidet unter dem Durchsetzungswillen der Grossmacht Saudi-Arabien, die den neuen, im Jemen kaum akzeptierten sunnitischen Präsidenten Hadi als Marionette für die eigenen Machtziele benutzt. Es geht zwar auch um versteckt schlummernde Bodenschätze und reiche Öl- und Gasvorkommen, aber vor allem um einen immer brutaleren und völlig irrational geführten Religions- und Stellvertreterkrieg zwischen Sunniten (Saudi-Arabien mit der Südjemen-Regierung) und Schiiten (Nordjemen, verbunden mit dem Iran).

Das ganze jemenitische Volk leidet. Tausende von Toten sind zu beklagen. Täglich kommen neue zivile Opfer hinzu. In den letzten Monaten wurden mit modernsten, im Westen gekauften Präzisionsbomben mehrfach Schulen, Spitäler, eindeutige Wohnviertel und wertvollste Weltkulturdenkmäler bombardiert. Am 8. Januar 2016 äusserte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon offiziell grosse Sorge, dass «der massive Einsatz von verbotenen Splitterbomben Kriegsverbrechen darstellt». Doch bis die jemenitischen Kriegsflüchtlinge in grosser Zahl vor den Toren Europas stehen, scheint dieser Konflikt für Europa noch zu weit entfernt zu sein.

(Artikel aus ethos 10/2016)